Das Drama von Arnöy
Vollkommen unbedarft habe ich mehreren Finnmärkern von meiner Vorliebe für Arviksand, einen Hafen an der rauhen Nordküste der Insel Arnöya erzählt. Weißt Du nicht, was sich dort abgespielt hat? Keine Ahnung. Aber aus den Andeutungen entnehme ich: irgendetwas Ungeheuerliches. Über die Vorgänge gibt es ein schmales Buch von Fjörtoft, das ein Teil des Ungeheuerlichen zu sein scheint. Also beschaffen und lesen.
Sowohl die Russen als auch die Engländer bemühten sich im zweiten Weltkrieg, über Sendestationen Informationen aus dem besetzten Norwegen zu erhalten. Die Sender und die sie betreuende kleine Mannschaft wurden üblicherweise per U-Boot in einsame Buchten gebracht.
Selbstverständlich bemühten sich die Deutschen, diese Sender aufzuspüren und die Mannschaft gefangen zu nehmen oder bei Widerstand zu töten.
Das war das übliche Spiel.
In Arnöy lief dagegen alles schief, obwohl der von den Russen betriebene Sender ein halbes Jahr sendete und vermutlich zum Verlust vieler deutscher Schiffe geführt hat.* (In Helgeland schaffte es eine Gruppe auf der Insel Renga bei wesentlich geschickterer Organisation bis zum Kriegsende zu senden.)
Beim ersten Versuch, den Sender an Land zu bringen, kenterte das Gummiboot mit zwei Norwegern und dem Sender an Bord. Der U-Boot Kapitän verlor die Nerven und fuhr zurück nach Murmansk. Die mit dem rauhem Wetter und der Landschaft vertrauten Norweger retteten sich an Land und kletterten über das Gebirge zur nächsten Ortschaft.
Hier hilft zwar jeder jedem, aber hier kennt auch jeder jeden und jede Insel hat ihren eigenen Dialekt. Es half den beiden Spionen also nicht, sich als schiffbrüchige Fischer aus der näheren Umgebung auszugeben. Nach einigen Tagen wussten gut 100 Einheimische, dass Fremde auf der Insel waren, was auch der norwegischen Polizei bekannt wurde und protokolliert wurde.
Nach einiger Zeit schaffen es die beiden bis zu ihrem Startpunkt Murmansk. Dort kennt man keine subtile Planung und schickt die beiden Nicht-Mehr-Freunde, ein überzeugter Kommunist aus der Stadt (Tromsö) und ein erfahrener Jäger und Partisan aus der rauhen Finnmarksvidda, im Folgejahr zurück nach Arnöy.
Auch diesmal misslingt die Landung, ein Teil des Materials geht verloren, und ein dreiwöchiger Sturm hält die drei in einer Höhle fest. Als der Sturm nachlässt, sind es nur noch zwei: der “Erfahrene” war fünf Tagen nach der Anlandung von dem “Überzeugten” wegen “Irrsinns” erschossen worden. Seine Leiche wurde nie gefunden.
Auch diesmal wissen nach kurzer Zeit etwa 200 Personen, dass sich Spione in russischen Diensten auf der Insel aufhalten und für gutes Geld Nahrung und Informationen kaufen.
Die deutsche Spionage-Abwehr zahlt aber auch gut und unter den Norwegern gibt es eine nicht kleine Anzahl von Personen, die mit den Deutschen sympatisieren. Und es gibt Familienstreitereien. Letztere führen zu einer direkten Anzeige der einheimischen Helfer der Spione bei den Deutschen, die bereits aus anderen Quellen Informationen zusammengetragen haben und nicht zögern, die Insel mit zweihundert Soldaten zu durchkämmen.
Mehrere Dutzend Arnöyer (die meisten aus Arviksand*) werden festgenommen und gefoltert, wenn die Deutschen anhand der reichlich vorhandenen Informationen vermuten, dass sie leugnen, denn die genaue Lage des Senders in der unübersichtlichen Gebirgsinsel ist immer noch nicht bekannt.
Selbst der Shoot down ist noch ungewöhnlich: die gefolterte Ehefrau des norwegischen Spions (der ehemals Dritte, jetzt Zweite ist ein Russe) wird von dem SS-Oberscharführer Bössler, der die Operation leitet, zu den beiden in einer Felsenhöhle versteckten Spionen geschickt, um diese zur Aufgabe zu bewegen. Sie weigert sich zurückzukommen und erschiesst den in Tromsö ob seiner Brutalität berüchtigten SS-Mann. Während der Schießere wurden offensichtlich auch mehrere deutsche Soldaten getötet, deren Leichen in einer Nacht- und Nebelaktion geborgen werden mussten.
Es ist klar, wer am Ende gewinnt, aber den vielen norwegischen Helfern ist nicht klar, was sie genau erwartet. Acht von Ihnen werden zum Tode verurteilt und erschossen, acht weitere erhalten bis zu 15 Jahre Zuchthaus.
Einige der Verurteilten halfen zwar überwiegend aus Interesse am Verdienst, aber viele wurden in die Helferrolle hineingezogen oder hineingezwungen.
Fjörtoft schreibt in einem vollkommen unpathetischen Stil, in kurzen, einfachen Sätzen, er referiert scheinbar emotionslos die norwegische wie die deutsche Seite, nennt alle Namen und Geldbeträge.
Bevor ich jetzt das Buch gelesen habe, habe ich etwas davon gehört, wie geschockt und empört Betroffenene auf Fjörtofts Texte reagiert haben.
Das kann ich mir bestens vorstellen, denn allein die Einleitung als auch der Schluss des Buches sind als Balsam für nationalistische Seelen oder Empfänger deutschen Geldes - die Besatzer sind akribische Buchhalter - wenig geeignet:
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